Kapitel 5

 

 

Völlig unausgeruht wachte ich auf. Die Sonne war schon längst aufgegangen.

Mit einem lauten Seufzen zog ich mich an und verließ die Hütte. Draußen angekommen, stürmte etwas Silbergraues auf mich zu und sprang mich an. Ich hatte kurz mit dem Gleichgewicht zu kämpfen, denn der kleine Wolfswelpe war mittlerweile ein beachtliches Stück gewachsen. Er ging mir jetzt bis zur Mitte meines Oberschenkels und das obwohl er gerade einmal seit knapp einem Monat bei mir war.

„Hey hey, ist ja gut, Kleiner! Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.“

Schwanzwedelnd und erwartungsvoll sah er mich an. Sein Bein war mittlerweile vollständig verheilt und wieder komplett funktionstüchtig. Seit ich ihm die Schiene abgenommen hatte, tollte er wie ein Blitz durch die Gegend. Er war wirklich sehr flink und extrem verspielt. Hin und wieder nahm ich ihn mit zur Jagd, aber meistens ließ ich ihn hier. Er hatte noch nicht den nötigen Ernst zum Jagen, alles war für ihn ein Spiel und meistens verschreckte er die Beute. Ich war nun mal keine Wölfin und konnte somit auch nicht wissen, wie man einem jungen Wolf beibrachte, dass er fürs Jagen ruhig und geduldig bleiben musste, aber wahrscheinlich lernte er das früher oder später von selbst.

„Nein, heute bleibst du hier! Wir hatten schon gestern nichts Anständiges zu essen, weil du alle Tiere im näheren Umkreis verjagt hast!“ Streng sah ich den jungen Wolf an, aber wirklich böse konnte ich dem Kleinen nicht sein.

Er hörte auf, mit seinem Schwanz zu wedeln, senkte diesen leicht ab und gab einen winselnden Laut von sich. Dabei sah er mich mit großen Augen an. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, dass er mich verstehen konnte.

„Ach was, das bildest du dir doch nur ein!“

Ich sah ihn noch ein letztes Mal an, gab ihm mit einer deutlichen Geste zu verstehen, dass er dort bleiben sollte, und verschwand dann im Wald. Ich hatte dem Kleinen immer noch keinen Namen gegeben. Tief in meinem Inneren sträubte ich mich auch dagegen, denn es würde bedeuten, ihn endgültig in mein Herz zu schließen, und ich hatte wohl Angst davor noch einmal eine emotionale Bindung einzugehen. Ich wollte nicht schon wieder jemanden verlieren, der mir nahe stand. Außerdem wusste ich ja nicht, ob sich unsere Wege später vielleicht wieder trennten. Ich wusste, dass junge Wölfe sich meistens ab einem bestimmten Alter von ihrer Familie trennten, um ein eigenes Rudel zu gründen.

Völlig in Gedanken versunken bemerkte ich kaum, wo ich hinlief, und rannte plötzlich gegen etwas Hartes. Irritiert rieb ich mir die schmerzende Stirn und sah genauer hin. Zwischen Gestrüpp und Laub konnte ich etwas Silbernes erkennen. Vorsichtig schob ich die Blätterranken zur Seite und betastete den Gegenstand. Die Oberfläche fühlte sich wie Metall an und hatte auch eine ähnliche Farbe. Das Material war nur matter und man konnte sich darin nicht spiegeln. Ich kämpfte mich durch das Gestrüpp und versuchte, den Gegenstand komplett freizulegen. Er war ziemlich groß. Ungefähr so wie eine kleine Hütte. Auf der Oberfläche waren Symbole und Verzierungen eingraviert, die mir seltsam vertraut vorkamen. Ich ging ein paar Schritte zurück und sah mir dieses Objekt genauer an. Es hatte eine zylindrische Form. Vorne und hinten war die Hülle flach und leicht abgeschrägt. Mir kam es seltsam bekannt vor und plötzlich tauchte ein Erinnerungsfetzen vor meinem geistigen Auge auf.

 

Ich saß im nassen Laub und meine Hände taten weh, als ich versuchte die Handschellen los zu werden. Ein paar Meter von mir entfernt standen drei Männer in roten Uniformen, die sich aufgeregt unterhielten.

„Verdammt was ist da passiert?!“

„Keine Ahnung, Sir! Der Antrieb des Schiffes ist einfach ausgefallen. Wir hatten verdammtes Glück, dass wir hier noch notlanden konnten.“

„Kannst du das reparieren?“

„Ich denke schon. Wird nur eine Weile dauern.“

„Dann mach so schnell du kannst!“

Sofort öffnete einer der Männer eine Klappe an dem Schiff und begutachtete den Schaden.

Während die Soldaten mit dem Schiff beschäftigt waren, sah ich mich vorsichtig um. Weit und breit waren nur Bäume und Gestrüpp zu sehen. Die Sonne stand schon relativ niedrig am Himmel und es würde wohl nicht mehr sehr lange dauern, bis sie unterging. Ich zerrte an den Handschellen, mit denen die Männer mir die Hände auf den Rücken gefesselt hatten. Schon nach kürzester Zeit fühlten sich meine Handgelenke wund an.

Der Soldat, der sich um die Reparatur kümmern sollte, stieß nach einiger Zeit einen erleichterten Seufzer aus.

„Sir? Ich glaube ich hab’s!“

„Sie glauben?“

„Der Antrieb müsste definitiv wieder laufen.“

„In Ordnung. Dann lasst uns von hier verschwinden. Wenn wir nicht rechtzeitig am Treffpunkt sind, wird der Admiral uns den Kopf abreißen!“

Währenddessen hatte ich es endlich geschafft meine Hände aus den Handschellen zu winden. Leise stand ich auf und schlich in Richtung Wald, als sich einer der Männer zu mir umdrehte.

„Hey, die Göre will fliehen!“

Schnell rannte ich los und verschwand im Gestrüpp ehe die Soldaten mich wieder einfangen konnten.

 

Ich war also mit diesem Ding hierher gekommen. Aber was war das genau? Die Männer hatten es ein ‚Schiff‘ genannt. Seltsamerweise verwirrte mich diese Bezeichnung in keinster Weise. Es konnte sich offensichtlich nicht um ein Schiff im herkömmlichen Sinne handeln, schließlich sah es weder so aus, noch war weit und breit ein Gewässer in der Nähe. Jedoch war mir der Begriff in diesem Zusammenhang irgendwie vertraut. Als hätte ich mal gewusst, was das war, und konnte mich jetzt einfach nicht mehr richtig erinnern. Außerdem fragte ich mich, wieso ich es nicht schon viel früher entdeckt hatte. Schließlich war ich jetzt schon eine ganze Weile in diesem Teil des Waldes unterwegs. Ich lief einmal um das Schiff herum und tastete noch einmal die Gravuren ab. Plötzlich gab eine davon unter meinen Fingern leicht nach und ein Teil der hinteren, äußeren Hülle fing an sich zu bewegen. Erschrocken sprang ich ein Stück zurück und fiel auf mein Hinterteil. Eine Rampe, welche man vorher nicht hatte sehen können, löste sich aus der restlichen Außenhülle und senkte sich bis auf den Boden ab, wodurch ein Zugang zum Inneren des Schiffes geschaffen wurde. Vorsichtig stand ich wieder auf und klopfte mir den Staub von meiner Kleidung. Dann ging ich langsam auf das Schiff zu und blickte durch die Öffnung in das Innere.

Die Wände waren innen ebenfalls mit Gravuren verziert. Gegenüber der Rampe auf der anderen Seite des Schiffes konnte man wie durch ein Fenster den Wald sehen. Irritiert lief ich noch einmal um das Schiff herum. Doch da war kein Fenster. Verwundert ging ich wieder zur Rampe zurück und betrat nun das Schiff. Vor dem seltsamen Fenster waren zwei gepolsterte Stühle und eine tischähnliche Fläche mit jeder Menge grauen Erhebungen. Vorsichtig fuhr ich mit meinen Fingern darüber und plötzlich hörte ich einen piependen Ton und auf dem Fenster erschienen seltsame Symbole. Wieder hatte ich das Gefühl, dass ich sie schon mal irgendwo gesehen hatte. Ich sah mich noch einmal vorsichtshalber um. Im hinteren Teil des Schiffes befanden sich jeweils an den Seiten so etwas wie Bänke. Darüber direkt unter der Decke waren Fächer, in denen ein paar Taschen lagen. Ich wandte mich nun wieder dem seltsamen Fenster zu und setzte mich vorsichtig in einen der Stühle. Er war richtig bequem. Ich strich noch einmal vorsichtig über eine der Erhebungen auf der Fläche vor mir und hörte plötzlich ein zischendes Geräusch hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum und sah wie sich die Rampe wieder schloss. Hektisch drehte ich mich nach vorne und drückte wieder auf die gleiche Gravur. Mit einem erneuten Blick nach hinten stellte ich erleichtert fest das sich die Rampe wieder herabsenkte. Schnell sprang ich auf und lief nach draußen. Das Letzte, was ich jetzt wollte, war mich versehentlich in diesem Ding einzusperren.

Ich tastete erneut die äußeren Gravuren um die Rampe ab, bis ich wieder die fand, mit der ich das Schiff schließen konnte. Dann verteilte ich einige Zweige und Blätter darauf. Ich wusste nicht genau warum ich das tat, aber ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, es zu verstecken. Danach machte ich mich wieder auf in den Wald. Ich wollte uns schließlich ein anständiges Abendessen besorgen.

 

Die Sonne war schon fast untergegangen, als ich endlich wieder bei meiner Hütte ankam. Der Wolf wartete schon ungeduldig und lief mir schwanzwedelnd entgegen.

„Hey, na du? Hast du mich vermisst?“

Er stieß ein leises Winseln aus, als wolle er meine Frage beantworten. Irritiert schüttelte ich den Kopf. Ich sollte da nicht so viel reininterpretieren. Das waren bestimmt nur Zufälle.

Ich setzte mich auf die Stufen vor der Hütte und fing an, meine mitgebrachte Beute zu häuten und auszuweiden. Wieder fiel mir auf, dass bei dem Anblick von dem Blut meine Kehle stärker anfing zu brennen. Wie gebannt verfolgte ich die Tropfen, die sich einen Weg über meine Hand und dann in Richtung Boden bahnten. Ich riss meinen Blick davon ab und starrte auf den dunklen Waldrand.

Was war nur mit mir los? Ich hatte in solchen Momenten einfach nur Angst. Angst vor mir selbst.

Ein leises Winseln holte mich aus meiner Gedankenwelt zurück. Ich schaute auf den jungen Wolf neben mir. Er wedelte leicht mit dem Schwanz und sah mich mit angelegten Ohren unsicher an.

„Was hast du denn?“

Er senkte seinen Kopf nach unten und lief in leicht kauernder Haltung ein paar Meter nach hinten. Irritiert sah ich mich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Dann fiel mein Blick auf mein Messer und durch die Spiegelung des Metalls, blickten mir zwei blutrote Augen entgegen.

Erschrocken ließ ich es fallen und sprang auf. Ich sah noch einmal auf das am Boden liegende Messer und meine Augen waren wieder in dem gewohnten Grünton. Mein Herz raste und ich war völlig außer Atem. Ich atmete noch ein paar Mal tief durch und setzte mich wieder hin. Der Welpe kam langsam und vorsichtig wieder näher und leckte mir beschwichtigend über meine Hand. Ich hob sie leicht an und strich ihm beruhigend über den Kopf.

„Ich weiß. Ich habe auch Angst vor mir, wenn das passiert.“

Er stieß wieder ein leises Fiepen aus, legte sich dann aber wieder etwas ruhiger neben mich und ließ seinen Kopf auf meinen Oberschenkel sinken. Ich hob das Messer wieder auf und machte mich erneut ans Kochen.

Morgen würde ich mir dann ncoh einmal das seltsame Schiff genauer ansehen. Vielleicht würde ich auf diese Weise endlich ein paar Antworten bekommen.

 

 

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